New York, 1980: Johnson Job McRae war gerade mal sechseinhalb Jahre alt, als seine extrem
instabile Mutter mit einer Drogenüberdosis im Krankenwagen abtransportiert wurde. Was der
kleine Junge in den davor liegenden Jahren alles mitgemacht haben muss, kann der Leser
anhand einiger Momente aus jenem frühen Lebensabschnitt in kurzen Rückblicken nur erahnen.
Rae, so nennt man ihn auf den Strassen, der Erzähler, spricht zu uns, knapp 40 Jahre später,
mit den Augen und dem Empfinden des Kindes von damals und ein paar Einsichten des
Erwachsenen von Heute. Er hat viel zu erzählen, von jenen drei Jahren seiner Kindheit, die
er als kleine Strassenratte auf New Yorks Pflaster verbrachte. Rae begegnet so viele Leuten,
nur wenigen vertieft, nur einigen, die ihn freundlich behandeln. Nichts hat Bestand, kaum
eine Nacht ist der Schlaf ruhig. Eher hinter einem dünnen Schleier, ist Rae ein Kind, das
auf jede erdenkliche Art missbraucht wird, das kaum je kindgerecht zufrieden oder gar
glücklich sein darf und dennoch einen Überlebenswillen hat, der den Menschen ganz unten
manchmal zu eigen ist. Somit, im Überblick über die Zeit auf Asphalt und Beton, kann er eine
bedingte Distanz zu den Geschehnissen in seinem jungen Leben schaffen und er ist bemüht, den
Zuhörer/Leser nicht allzu sehr zu überfordern oder zu schockieren.
Zumeist zwischen den
Zeilen, nur in Momenten drastisch und blutig, zeichnet sich doch ein Leben ab, das kein Kind
zu durchleiden gezwungen sein dürfte. Ein kleine Geschichte über einen kleinen jungen und
die ewige ‹soziale Frage›, die die USA nie wirklich beantworten wollten oder konnten.
Und
wollen Sie wissen, wie der Roman beginnt? Nun, lassen Sie sich überraschen.
Sex und Gewalt, aus meiner Sicht eine traurige semantische Kombination. ‹Fuck you!› – ‹Yes,
please›, würde man doch in dem einen oder anderen Fall gerne sagen. Dass sich Sex und
Gewalt, in gewissen sich überlappenden Hirnregionen abspielen, ist spätestens seit dem
Anbruch der Zeiten des ‹Neuro-Imaging›, eine Binsenweisheit. Dennoch fragt man sich, ob die
zwei Begriffe wirklich so eng konnotiert sein müssen, besonders auf die häufig negative Art
und Weise. Da die us-amerikanische Obsession mit Sex und Gewalt einen stark
puritanisch-moralinsauren Charakter hat, hätte man sicher eine nette Satire oder
komödiantische Sozialbetrachtung anstellen können. Nun wandeln bereits die Romane PINTOMANS
HAND und noch mehr der dritte Teil, PACIFIC BLUE, auf humorigen Pfaden. Also, ist dieser
zweite und mittlere Teil, ICH BIN NEUN - DIE BALLADE DES JOHNSON McRAE, ein, als Kontrapunkt
der Trilogie, der Härteste. Aber ganz ohne ein, zwei Möglichkeiten zu lächeln, gehen auch
drei Jahre auf den Strassen der grossen Stadt, nicht am Leser vorüber.
Es gibt wenige Dinge, die mich zutiefst erschüttern, im Mark treffen und heiligen Zorn in
mir entfachen. Der Missbrauch, auf jeder Ebene und auf jegliche Art, von Kindern, ist eines
davon. Deshalb, verzeihen Sie, als Leser, dass ich von meiner Kanzel dagegen wettern werde
und mich so in ein paar Passagen schulmeisterlich anhöre. Damals, Anfang der 1980er, war New
York ein Hot-Spot der Gewalt, Banden-Kriege, Rassen-Konflikte, gehörten dazu, Hass gegen
anders Fühlende, anders Denkende. So weit, so etwas weniger drastisch heutzutage (oder?).
Die Pornoindustrie lebte ihr goldenes Zeitalter (man hätte auch L.A. dazu hernehmen können),
und Kokain schwemmte von Süden her in die Stadt und das Land. Von Vielem habe ich kleine,
und für behütet aufgewachsene mitteleuropäische Augen und Ohren, verwirrende Signale und
Einblicke bekommen. In ICH BIN NEUN - DIE BALLADES DES JOHNSON McRAE, gebe ich diesen
Erfahrungen, so harmlos sie mir im Rückblick, verglichen mit der Realität, erscheinen, eine
dramatisch konzentrierte Form (Blake Lively über Kindesmissbrauch heute,
YouTube).